Ja, herzlich willkommen, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Cleaning the Past, Reinheitsgebote und Aussatzpraktiken ist mein Thema heute,
in der letzten profanen Ausgabe unserer Tellerrand-Vorlesung.
Und es geht chronologisch erst einmal im Wesentlichen ums 16. Jahrhundert.
Und es geht darum, wie die Medizin außerhalb unmittelbar therapeutischer Eingriffe gesellschaftsorganisatorisch wirkt
und welche Vorbilder diese Wirkung von Gesundheitsvorstellungen in modernen und frühmodernen Gesellschaften hatten
und meines Erachtens noch haben.
Für die abendländischen Gesellschaften maßgeblich sind sowohl was die Reinheit als auch was das Aussetzen angeht
die Vorschriften der Bibel im Alten und Neuen Testament maßgeblich.
Und natürlich dies umso mehr im 16. Jahrhundert.
Deswegen zeige ich Ihnen hier die maßgeblichen Stellen in dem Wortlaut der Lutherübersetzung, letzter Hand 1545.
Und da heißt es, wer nur aussätzlich ist, des Kleider sollen zerrissen sein und das Haupt bloß und die Lippen verhüllet
und soll allerdings unrein genannt werden.
Und solange das Mal an ihm ist, soll er unrein sein, alleine wohnen und seine Wohnung soll außer dem Lager sein.
Das ist gewissermaßen die Urstelle für die abendländische Geschichte.
Das ist das Alte Testament und das ist damit noch viel mehr die Thora, die jüdische Offenbarungsschrift.
Es geht um Reinheit und darum geht es in dem gesamten dritten Buch Mose im Leviticus.
Das beinhaltet die Reinheitsvorschriften und es formuliert hier in dieser Stelle eben auch die Aussatzregel.
Solange das Mal an ihm ist, soll er unrein sein, alleine wohnen und seine Wohnung soll außer dem Lager sein.
Nun kommen aber diese Aussätzigen nicht nur in dem Teil der Heiligen Schriften vor,
die die Christen von den Juden übernommen haben, sondern auch im Neuen Testament.
Und verkürzt ist dann häufig die Rede von Stellen, in denen von Heilungen der Aussätzigen die Rede wäre.
Tatsächlich ist dort aber nie von Heilungen die Rede, sondern von Reinigung.
Die vielleicht bekanntere Stelle aus dem Markus Evangelium heißt, und es kam ein Aussätziger zu ihm.
Und gemeint ist Jesus Christus, der Erlöser dieses Evangeliums.
Es kam ein Aussätziger zu ihm, der bat ihn, will du, so kannst du mich wohl reinigen.
Und es jammerte Jesum und räckte die Hand aus, rühret ihn an und sprach, ich will's tun, sei gereinigt.
Und als er so sprach, ging der Aussatz alsbald von ihm und er ward rein.
Gehe hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung.
Und auch die zweite Stelle, die relativ prominent ist und in Kurzfassung gerne, meines Erachtens fälschlich,
mit Heilung der Aussätzigen überschrieben wird.
Das sind die berühmten zehn Aussätzigen.
Da heißt es, und als er in einen Markt kam, er ist wiederum Jesus Christus, die Hauptperson dieser Erzählung,
begegnet ihm zehn aussätzige Männer.
Und da er sie sah, sprach er zu ihnen, geht hin und zeiget euch den Priestern.
Und es geschah, da sie hinging, warden sie rein.
Worum geht es in diesen Stellen und was für eine Rolle spielen sie dann in der europäischen Geschichte?
Formuliert wird als eine uralte Ansicht die Unreinheit als ein Makel der Person.
Und weil es ein Makel der Person ist, ist es die Aufgabe von Priestern, das zu erkennen.
Es gibt, das wird durchaus formuliert, verborgene Zeichen auf der Haut,
die den Priester darauf hinweisen, dass es sich um eine unreine Person handelt.
Und solange diese Person unrein ist, soll sie außerhalb der Siedlung leben.
Im Neuen Testament figurieren diese Aussätzigen nun als die Ärmsten der Armen, die dem Herrn besonders nah sind.
Und daraus ergibt sich ein Widerspruch, mit dem die europäische Geschichte über mindestens anderthalbtausend Jahre umgehen muss.
Dass es sich einerseits nach dem Bibelwort um Menschen handelt, mit denen man nicht zusammenleben soll.
Dass es sich aber andererseits um Menschen handelt, die dem Herrn besonders nah sind.
Und das heißt, zum Beispiel projiziert, auch das mittelalterliche Almosenverständnis, dass deren Fürbitte besonders wirksam ist.
Wer am nächsten dran ist, der wird am schnellsten gehört.
Nun passiert aber im Laufe der nächsten 500 Jahre, also etwa der ersten 500 Jahre, 600 Jahre nach Christi Geburt
und während der Formierung des Christentums etwas relativ Merkwürdiges.
Presenters
Prof. Dr. Fritz Dross
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:33:45 Min
Aufnahmedatum
2015-12-02
Hochgeladen am
2016-02-11 09:43:46
Sprache
de-DE